"Wusstest Du, dass in unserem Auestadion schon zwei Mal das DFB Pokalfinale stattgefunden hat?"

"Ich weiß zwar nicht mehr genau, wann das war, aber ich weiß ziemlich sicher, dass bei einem Schwarz-Weiß Essen gewonnen hat. Muss also schon ziemlich lange her sein!“

Ich war an diesem Mittwoch Mitte August in der Südstadt unterwegs, hatte am Auestadion geparkt und auf dem Rückweg sah ich ein rot-weiß lackiertes Auto mit Korbacher Nummernschild vor dem Haupteingang stehen. An beiden Spiegeln hingen KSV-Schals. Auf der Heckscheibe klebten 5 KSV Aufkleber und neben der Fahrertür stand ein Mann im KSV Trikot. Sponsor auf der Brust: MEG. Ausgerechnet! Aber gut, irgendwas zu meckern gibt es ja immer.

„Ich habe aber auch noch bestimmt 10 andere Trikots – viele sehen aber nicht mehr so vorteilhaft aus, wenn ich sie trage. Zu viele Bierchen und Bratwürste, Du weißt schon!“

Ich hatte ihn einfach angesprochen, weil ich dachte, dass ich ihm vielleicht helfen könnte. Schließlich war kein Spieltag. Sommerpause, Corona und der Mann hatte irgendwie erwartungsvoll auf das verschlossene Stadion geblickt. Wir kamen ins Plaudern, er erzählte mir, dass er 67 Jahre alt ist.

„Ich bin gerade mal drei Monate älter als das Auestadion. Das schweißt zusammen. Im August 1953 wurde das Schmuckstück eingeweiht. 20.000 Leute waren damals drin, rappelvoll die Kiste. Ich war natürlich noch nicht dabei. Das Eröffnungsspiel war gegen Viktoria Aschaffenburg, das habe ich mal gelesen. Wie es ausgegangen ist, weiß ich aber nicht!“

Google verrät mir: Aschaffenburg hat 2:1 gewonnen. Und da steht auch, dass das Stadion damals auf einem Aufmarschgelände gebaut worden ist. Früher wurden hier also Militärparaden abgehalten, jetzt finden Fußballfeste statt, eine deutliche Verbesserung. Für die Fundamente der Tribünen sind Kriegstrümmer aus der Innenstadt hergekarrt worden. Davon gab es Anfang der 50er Jahre hier in Kassel ja leider mehr als genug. Trotzdem hat der Bau 1,7 Millionen Mark gekostet und das vorhandene Geld hat nicht gereicht. Die geplanten beheizbaren Umkleide- und Duschräume unter der Tribüne mussten wegen Geldknappheit später gebaut werden.

„1963 war ich zum ersten Mal im Stadion. Da war ich 10 Jahre alt. Mein Vater und mein Onkel hatten mich mitgenommen. Es war der 25. August. Der Gegner hieß FC Bayern München und wir haben 3:2 verloren. Aber ich werde das Spiel trotzdem nie vergessen. 25.000 Zuschauer waren im Stadion. Die Stimmung: Unglaublich. Mein Vater und ich haben uns die Geschichte bis zu seinem Tod noch mindestens eine Million Mal erzählt und hatten dabei immer ein Funkeln in den Augen. Wir haben damals in der Regionalliga Süd gespielt, das war in Deutschland die zweithöchste Spielklasse. Ich war in dem Jahr noch ein paarmal im Stadion - wir wurden Meister und nahmen an der Aufstiegsrunde zur ersten Bundesliga teil. Leider haben wir verloren. Aber immerhin war unsere Niederlage gegen Hannover bis heute das bestbesuchte Spiel im Auestadion. Und ich war dabei. Einer von 37.000. An dieses Spiel kann ich mich aber nicht mehr erinnern. Mein Vater hat mir später nur erzählt, dass ich fast die gesamten 90 Minuten auf seinen Schultern saß und er sich am nächsten Tag nicht mehr bewegen konnte. Ich war halt noch nie ein Leichtgewicht. Das war 1964 und seitdem hat mich der KSV nicht mehr losgelassen.“

37.000 Zuschauer? Es geht aber noch doller: ebenfalls 1964 kamen 50.000 Besucher zum internationalen Musikfest auf dem Hessentag. Heute passen bei Fußballspielen offiziell 18.737 rein. Damit steht das Auestadion auf Platz 55 der größten Stadien Deutschlands.

„Ich habe im Auestadion schon so ziemlich alles erlebt. Einmal ist neben mir einer eingeschlafen. Das war ein Spiel in der zweiten Liga, 1986 oder 87. Nachdem er mir 10 Minuten lang einen vorgeschnarcht hat, habe ich ihn ziemlich unsanft geweckt. Mit einer Bierdusche! Fand er nicht so lustig. Das war schon etwas abgestanden, sonst hätte ich das auch nicht gemacht. Bei einem Spiel saß mal ein Fan der Kickers aus Offenbach neben mir, also zwischen hunderten KSV-Fans. Das fanden wir natürlich nicht so doll und haben ihn das auch spüren lassen. Nach der Halbzeit kam er nicht wieder. Gut so, ich hätte auch keine Witze über Südhessen mehr auf Lager gehabt! Ich habe übrigens auch das erste Flutlichtspiel im Auestadion miterlebt. Das war 1973, lange bevor die festen Flutlichtmasten gebaut worden sind. Bei einem Freundschaftsspiel gegen Dortmund waren aus irgendeinem Grund mobile Masten aufgestellt worden. Ich weiß noch, dass wir gewonnen haben. Das eigentlich faszinierende an dem Spiel war aber nicht der Kick, sondern das Licht. Es war Januar, eiskalt, aber gefroren hat an diesem Abend keiner. Der Nachthimmel drumherum und mittendrin das taghell leuchtende Auestadion – diese Bilder sehe ich noch heute vor mir, als wären nicht 47 Jahre, sondern 47 Tage seitdem vergangen.“

Seit 2008 gibt es fest installierte Flutlichtmasten in unserem Löwenkäfig und seit 2011 thront über der Südkurve eine 72 Quadratmeter große Videowand. Zum damaligen Zeitpunkt eine der größten und modernsten Deutschlands.

„Mein schönstes Erlebnis im Auestadion? Das kann ich nicht sagen. Es gab einfach zu viele. Oft sind hier ja sogar Niederlagen etwas Großartiges, weil das Gemeinschaftsgefühl im Stadion einfach unbeschreiblich ist. Ich sage mal so: Mein schönstes Erlebnis im Auestadion werde ich erst noch haben.“

Dann verabschiedet er sich.

„Ich muss jetzt meine Frau aus dem DEZ abholen und dann geht’s zurück nach Hause! Ich hätte meine Frau ja auch allein nach Kassel fahren lassen können, aber wenn ich schonmal die Möglichkeit habe, mein Auestadion zu besuchen, dann mache ich das natürlich auch! “

120 Kilometer ist er heute gefahren, nur um einen Blick auf seine „zweite Heimat“, wie er sagt, werfen zu können. Ein paar Stunden Zeit für Träume, an historischer Stätte. Das Geburtsjahr 1953 schweißt schließlich zusammen! Seinen Namen will er lieber nicht lesen, er sei einfach nur ein Fan, nichts Besonderes, sagt er.

Ach ja: Im Auestadion fanden tatsächlich zwei Endspiele im DFB-Pokal statt. 1958 gewann der VfB Stuttgart 4:3 nach Verlängerung gegen Fortuna Düsseldorf und 1959 tatsächlich Schwarz-Weiß Essen 5:2 gegen Borussia Neunkirchen.  

Liebe Fans, ganz egal, wo ihr gerade seid, wie nah oder fern von der Frankfurter Str. 143, 34121 Kassel, der offiziellen Adresse des Auestadions. In der kommenden Woche öffnet die legendäre Heimat unserer Löwen endlich wieder ihre Tore. Das erste Heimspiel der Saison steht an. Und um richtig fit zu sein, singen wir jetzt schonmal alle gemeinsam, so laut, dass man es in ganz Kassel hören kann: „Ohooooo, Hessen Kassel, ist unser Leben, wir stehen zu Dir. OleOleOleOleOleOleOla! OleOleOle und wir sind immer für Euch da! Ohooooo Hessen Kassel ist unser Leben, wir stehen zu Dir! OleOleOleOleOla!“

Veröffentlicht: 05.09.2020

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Datum des Ausdrucks: 25.04.2025