Wieder die 90. Minute...
KSV Hessen - KSV Baunatal 2:2 (2:0) Es war wie gegen Marburg. Wieder in der 90. Minute der Ausgleich, wieder in der 90. Minute zwei Punkte verschenkt. Duplizität der Ereignisse. Oder etwa nicht?Es war vieles anders, an diesem Mittwochabend. Der Bundesliga-Schiedsrichter Stefan Trautmann pfiff souverän. Er war an diesem Punktverlust sicher nicht schuld. Die Chancenverwertung der Löwen war es diesmal auch nicht. In Durchgang eins machten die Kasseler aus drei Chancen zwei Buden. Das kann sich sehen lassen. Was führte dann dazu, daß der KSV Hessen bereits im zweiten Heimspiel den vierten Punkt abgegeben hat?
Es stimmt nicht in der Mannschaft. Vieles ist Stückwerk, die Laufwege passen nicht, das gesamte Spiel wirkt hölzern und statisch. Den absoluten spielerischen Offenbarungseid gab es in der Schlussphase, als 10 Baunataler teilweise Katz und Maus mit den Löwen spielten. Und da diese förmlich um den Ausgleich bettelten, sagte dann auch Eren Cihan "Danke" in der 90. Minute. Aber auch schon vorher schüttelten die Zuschauer den Kopf über die Leistung des KSV Hessen, die sich irgendwo zwischen pomadig und hilfslos bewegte.
Es fehlt ein "Leader" in der Mannschaft. Einer der mitreisst, einer der anstachelt. Und einer, der die Ärmel hochkrempelt. So wie ein Andreas Mayer. Slawomir Chalaskiewicz ist es nicht. Er zeigte ein starkes Spiel, war der beste Mann auf dem Platz. Aber er ist zu still um eine dahin dösende Mannschaft mitzureissen. Und Rudi Istenic ist es ganz sicher nicht. Wo mal eine Grätsche angebracht ist, zieht er eine Tändelei und einen hübschen Trick vor. Am Mittwochabend brotlose Kunst.
Und es fehlte noch ein anderer. Einer wie Julio Cesar. Einer der was überraschendes macht, der auch mal was auf eigene Faust riskiert. Und der mit seiner Wuseligkeit auch mal mehr als nur einen Abwehrspieler beschäftigt.
Solche Typen fehlten gegen Baunatal. Und wenn man die Situation genau betrachtet auch schon gegen Bad Vilbel und Marburg.
Adem Usta mühte sich brav, wirkte aber mit seiner sperrigen Spielweise wie ein Fremdkörper. Der flinke Sandifort kam zu spät, um ein verfahrenes Spiel noch zu kippen. Thorsten Bauer stand allein auf weiter Flur, mühte sich, quälte sich, aber erfolglos. Vorne muss noch was passieren und es passiert wohl was.
Nebe-nbei pfiffen es am Mittwochabend bereits die Spatzen vom Dach des Auestadions, dass der Kader im Offensivbereich wohl noch mal aufgemotzt wird.
Keine Frage. Die Punkte sind wie schon gegen Marburg geradezu verjubelt worden. Fast aus dem nichts erzielten die Löwen zwei Tore gegen Baunatal, Zentimeter fehlten am Dritten. Und dennoch lieferten die Löwen bereits in Durchgang eins ein verkrampftes Spiel ab, bei dem Baunatal die flinkere und technisch bessere Mannschaft war. Die allerdings nach der Rotsperre für Latifiahvas darunter litt, das vorne nichts lief, zumal nach 20 Minuten Henning Lichte verletzt ausfiel. Magere Ausbeute in Durchgang eins für Baunatal: keine einzige Torchance. Besser machten es die Löwen. Nach einer Anfangsphase des Abtastens gewann Chalaskiewicz ein Laufduell und bugsierte aus fast unmöglichen Winkel, mit dem Gegenspieler im Rücken, den Ball zum 1:0 in die Maschen (9.). Erste Chance, erstes Tor. Dann 120 Sekunden später fast das 2:0. Einen Freistoß aus 22 Metern donnert Christoph Keim an die Unterkante der Latte. Zweite Chance, fast ein Tor. Wieder 7 Minuten später Ecke Chalaskiewicz, Kopfball Owusu - Dritte Chance, zweites Tor.
War man zu früh zufrieden? Oder waren die Tore Zufallsprodukte? Es kam nun nach vorne fast gar nichts mehr. Dafür gab es hinten haarsträubende Fehler (Krause und Radler). Glück für die Löwen, das Baunatal zu diesem Zeitpunkt mehr als harmlos spielte.
Das änderte sich zunächst auch nicht nach dem Seitenwechsel. Baunatal optisch ansehnlich aber ungefährlich, Kassel verkrampft und umständlich. Nur Schönewolf und Chalaskiewicz ragten aus einer blassen Löwen-Elf heraus.
Das Signal zum Baunataler Sturmlauf gab dann unfreiwillig der Schiedsrichter. Nach einer Attacke von hinten in die Beine von Adem Usta gab der souveräne Bundesliga-Schiedsrichter Stefan Trautmann Rot gegen Pascal Witzke. Zu Recht. Doch diese Entscheidung stachelte die VW-Städter nochmal so richtig an. Um jeden Ball wurde nun gegrätscht, gekämpft und gerackert. Und während die Löwen weiter pomadig ihren Stiefel herunterspielten wurde das Übergewicht der Schwarz-Weissen immer eklatanter.
Und so gab es dann noch zwei Baunataler Tore in Unterzahl. Und beide mit Ansage. Beim 1:2 konnte Wörner ungehindert zu Ochs spielen, beim 2:2 rannte die gesamte Mannschaft nach einem Eckball wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen umher, bis Cihan zum finalen Schuss ansetzte.
"Selbst wenn wir verloren hätten, hätte ich meiner Mannschaft heute ein Riesenkompliment gemacht" freute sich Bernd Lichte nach dem Schlusspfiff. Und während sich die Baunataler von ihren wenigen Fans feiern liessen, war beim KSV Hessen schluss mit lustig. "Wir müssen analysieren, warum wir so doof sind" machte sich ein gefrusteter Thorsten Bauer nach dem Spiel Luft. Viel Zeit für die Analyse bleibt nicht.
VON OLIVER ZEHE
KSV Hessen: Zeljko - Schönewolf, Krause (38. Tews), Radler - Steffen, Keim, Istenic (70. Busch), Owusu, Chalaskiewicz - Bauer, Usta (79. Sandifort)
KSV Baunatal: Reichold - Ernst, Cihan, Witzke, Barack - Beyer (82. Höhle), Markolf, Ochs, Jan Moritz Lichte, Henning Lichte (15. Gertenbach) - Wörner.
Zuschauer: 5.000. Schiedsrichter: Trautmann (Florstadt)
Tore: 1:0 Chalaskiewicz (9.), 2:0 Owusu (18.), 2:1 Ochs (65.), 2:2 Cihan (90).
Besonderes Vorkommnis: Rote Karte gegen Witzke (61.) wegen Foulspiel
Veröffentlicht: 16.08.2003